Nebenwirkungen by Hansjörg Anderegg

Nebenwirkungen by Hansjörg Anderegg

Autor:Hansjörg Anderegg [Anderegg, Hansjörg]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: createspace.com
veröffentlicht: 2013-05-30T22:00:00+00:00


KAPITEL 6

Pilanesberg

Bereits seit fünf Uhr morgens waren sie auf den Beinen, aber es hatte sich gelohnt. Jetzt, fast sechs Stunden später, schwebten sie in hundert Metern Höhe lautlos über dem von sanften Hügeln umrahmten Grasland des Pilanesberg Nationalparks, das in allen Braun-, Rot-und Blautönen schimmerte. Grüne Bänder durchzogen die Ebene, wo sich Büsche und Bäume wie dunkle Perlen entlang der Wasserläufe aufgereiht hatten. Nur hin und wieder unterbrach das laute Fauchen des mächtigen Gasbrenners die Stille. Für die junge Familie mit ihrem kleinen Sohn war es die erste Ballonfahrt, und selbst der abenteuerlustige Vater hatte ein flaues Gefühl im Magen, wenn er sich vorsichtig über den Rand des Korbs beugte und nach Großwild, den berühmten ›big five‹, Ausschau hielt. Am frühen Morgen hatte ein hartnäckiger Wind den Start um fast zwei Stunden verzögert, sodass sie etwas später als sonst üblich zu ihrer Ballonsafari aufgestiegen waren. Trotz allem hatte sie Glück gehabt, denn nicht selten mussten solche Fahrten wegen der Witterungsverhältnisse abgebrochen werden, wie der Pilot ihnen erklärt hatte.

Eine Herde von Gazellen graste in der Sonne am Fuß des Hügels, auf den sie zusteuerten, und im Hintergrund streckten zwei Giraffen die Hälse aus den Bäumen. Als der Vater den Kleinen hochhob, damit er besser sehen konnte, zeigte der Pilot auf die andere Seite der Ebene, wo ein großes Tier bei der Verfolgung eines kleineren kräftig Staub aufwirbelte.

»Ein Breitmaulnashorn«, erklärte er. »Verfolgt wahrscheinlich ein Warzenschwein. Versuchen wir, näher ran zu fahren.« Er sprach in sein Funkgerät und fragte die Bodencrew nach den aktuellen Strömungsverhältnissen. Durch eine längere Brennphase ließ er den Ballon zwanzig, dreißig Meter höher steigen, wo sie die Strömung tatsächlich langsam weg vom Hügelzug in die gewünschte Richtung trieb.

»Frisst das Nashorn das arme Schwein?«, fragte der Kleine besorgt. Der Pilot schmunzelte und beruhigte ihn:

»Nein, das Rhinozeros ist nur ein launischer Einzelgänger. Keine Angst, es schadet dem Schwein nicht wirklich. Es ist ihm wahrscheinlich zu nahe gekommen, und jetzt will es einfach seine Ruhe haben, denke ich. Sieh mal da drüben.« Unweit der Verfolgungsszene hatte sich eine Gruppe von Zaungästen eingefunden. »Paviane, sie rennen den beiden nach. Wenn wir näher heran könnten, würdest du sehen, wie sie lachen.«

»Hier ist ja richtig was los«, lächelte die junge Mutter. Ihre anfängliche Skepsis war verflogen. Sie bereute nicht mehr, dass sie sich von ihrem Mann zu diesem waghalsigen Ausflug hatte überreden lassen. Sie schloss die Augen, horchte in die ungewöhnlich stille fremde Welt hinaus und ließ die würzige warme Morgenluft an ihrer Nase vorbei ziehen. Sie liebte ihr schmales Reihenhäuschen in Redding bei London zwar über alles, doch diese wunderbar ursprüngliche und harmonische Natur hatte sie sofort in ihr Herz geschlossen, als sie in Afrika angekommen waren.

»Da, noch eine Jagd!«, rief der Junge aufgeregt. Unter ihnen spielte sich in den nächsten Minuten eine ganz andere Verfolgungsszene ab, die auch den Piloten in höchstes Erstaunen versetzte. Auf einer der Naturstraßen, die das Gebiet durchquerten, fuhr ein Wagen mit hoher Geschwindigkeit gegen Süden. Ein paar hundert Meter hinter ihm raste ein zweites, größeres Fahrzeug in die gleiche Richtung, als veranstalteten die beiden ein Rennen mitten im Wildreservat.



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